
NDR – Studie sieht keine Belege für systematische Gewalt?
Eine Studie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat sich mit dem Missbrauch an Verschickungskindern in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt – und dazu auch Betroffene befragt.
Link zum vollständigen Artikel des NDR
Anmerkung: Der unglücklich gewählte Titel des NDR vermittelt zuerst ein anderes Bild. Dem ist jedoch nicht so….es gab Gewalt!
Aufrufe: 221
Ich werde mir die Dokumente zuschicken lassen, da die genaue Unterscheidung zwischen systemischer Gewalt und systematischer Gewalt (synonym auch für vorsätzlich, gezielt etc.) hier wichtig ist. Auch die Formulierung der ideologisch begründeten Gewalt ist mir nicht klar. So zeigen die gesamten Pressemitteilungen auch ein recht unterschiedliches Meinungsbild, das dadurch verschärft wird, dass insbesondere Prof. Dr. Peter Graeff als Soziologe immer wieder auf seinen angeblich wissenschaftlichen Ansatz verweist.
Mir scheint jedoch, dass die Studie sich zu sehr auf die immer wiederkehrenden Erzählungen von “offensichtlichen” Gewalterfahrungen während der Kuraufenthalte in St. Peter Ording konzentriert und diese zunächst mit statistischen Methoden abfragt. Diese Zelebrierung offensichtlicher Gewalt in alarmistischem Stil wurde insbesondere auch von Anja Röhl vorgenommen, so dass ich diese Art der “wissenschaftlichen” Aufarbeitung der Kinderkuren eher als Retourkutsche aus konservativen Kreisen sehe.
Die Studie leugnet jedoch in betonter Form, dass dahinter ein System steckt, das für alle Langzeitschäden entscheidend ist, sowohl in Sozial- und Kinderkuren als auch in psychiatrischen Heimen. Auch die Leugnung einer zugrunde liegenden Ideologie ist zu kurz gegriffen. Es steckt nämlich keine Ideologie dahinter, sondern eine tief verwurzelte Unkultur, die jedem Totalitarismus innewohnt, nämlich allen als minderwertig bezeichneten Gruppen, in diesem Fall Kranken, Kindern, jegliche Integrität abzusprechen und sie zur wirtschaftlichen Ausbeutung freizugeben.
Diese Gewalt, die damals fast allen Kursystemen inhärent war, wurde dann zur strukturellen Gewalt in den individuellen Abläufen der einzelnen Heime, vor allem nachts beim Schlafen, wie z.B. ständiges Einschalten des Lichts durch Nachtwachen, morgendlicher Toilettengang auf beschissenen Klobrillen, dann Waschen, das alles verbunden mit Nacktheit, dann Würgereflexe im stinkenden Speisesaal mit nervender Kontrolle durch die Schwestern als Auslöser, usw.
Auch der unmenschliche Einsatz von Beruhigungsmitteln zu Sedierungszwecken hat seinen Ursprung in der Euthanasie von Kindern. Das geht dann weiter bis hin zu Medikamententests an Kindern. All das ist für einzelne Heime bereits bewiesen, und deshalb gibt es eine Petition zum Seehospiz und eine Untersuchung zu Neuroleptika. Diese Dokumentationen stellen wiederum eine Querschnittstudie durch alle betrieblichen Ebenen eines einzelnen repräsentativen Heimes dar. Wenn sich jemand die Mühe machen will, kann er/sie das alles hier auf AG Verschickungskind nachlesen.
Ich werde mir aber ein PDF der Studie besorgen, um genau zu sehen, was dort geschrieben wurde, und dann werde ich das Thema hier ausführlicher posten.
Ein schönes Lehrstück aus dem Werkzeugkasten des Pressehandwerks:
Hochinteressant, welche Botschaft uns der NDR mit dieser Meldung von heute durch die Wahl seiner Überschrift vermitteln wollte (“Studie sieht keine Belege für systematische Gewalt”). – Aus der gleichen Pressemitteilung von heute haben andere Medienhäuser nur wenige Stunden später ganz andere Prioritäten herausgelesen und in ihre Überschrift gesetzt…:
Geschichte – Sankt Peter-Ording – Studie zeigt Missbrauch an Verschickungskindern – Politik – SZ.de
Sankt Peter-Ording: Verschickungskinder waren laut Studie der Universität Kiel Gewalt ausgesetzt – DER SPIEGEL